Meldung vom 07.11.2007 

Neue Allianz

„Pro Tempolimit“ fordert Anschluss Deutschlands an die zivilisierte Welt

Eine neue Allianz „Pro Tempolimit — Für Verkehrssicherheit und Klimaschutz“ hat alle interessierten gesellschaftlichen Gruppen, Organisationen und Verbände aufgerufen, sich jetzt hinter der Forderung nach einem generellen Tempolimit auf deutschen Autobahnen zu vereinen. So soll die seit Jahrzehnten andauernde Debatte endlich mit einer klaren Entscheidung beendet werden. Dies sei nötig, um die Zahl der Verkehrstoten zu reduzieren und die von einer großen Bevölkerungsmehrheit gewünschte Vorreiterrolle Deutschlands im internationalen Klimaschutz nicht ständig mit dem spezifisch deutschen Anspruch auf unbegrenzte Raserei zu belasten. Deutschland müsse „seinen Sonderweg aufgeben und in dieser Frage Anschluss finden an die zivilisierte Welt“, hieß es. Praktisch alle Mitglieder der Vereinten Nationen mit einer ausgebauten Straßeninfrastruktur hätten sich längst auf eine Tempobegrenzung verständigt.

„Die Zeit für ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen ist reif“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Der Hamburger SPD-Parteitagsbeschluss habe die Parteiführung unvorbereitet getroffen, weil Spitzenpolitiker generell dazu neigten, die Haltung der deutschen Autoindustrie und der Minderheit der passionierten Raser für das Ganze zu nehmen. Tatsächlich sei die Gesellschaft „nicht nur wegen des Blutzolls, den die Raserei jeden Tag fordert, sondern auch angesichts des sich beschleunigenden Klimawandels weiter als es sich viele Politiker vorstellen können“. Der SPD-Beschluss gegen den erklärten Willen der Parteiführung von links bis rechts sei dafür das bisher deutlichste Symbol. Sämtliche Argumente gegen das Tempolimit seien „längst widerlegt oder peinlich“, sagte Resch. „Ich warte auf den ehrlichen Politiker von der Kanzlerin abwärts, der oder die eingesteht, dass er fürchtet, sich gegen die Lobbymacht der deutschen Autohersteller nicht durchsetzen zu können und deshalb ständig neue alberne Hilfsargumente gegen das Tempolimit erfindet.“

Nun komme es darauf, die sich formierende gesellschaftliche Mehrheit für ein Tempolimit poli-tisch wirksam werden zu lassen. Dazu setzen die Initiatoren der neuen Allianz auf ein „Wachstum ohne Tempolimit“. Der Zusammenschluss verstehe sich als öffentlicher Gegenpol zur Hinterzimmer-Diplomatie der großen Autokonzerne, die bisher die Politik auch durch ein System von Belohnungen und bereitgestellter Karrierechancen fast nach Belieben von ernsthaften Initiativen für ein Tempolimit abgebracht hätten.

Zwar habe sich die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Menschen in den vergangenen Jahren kontinuierlich verringert, sagte der Münsteraner Polizeidirektor Martin Mönnighoff. „Aber mehr als 5.000 Tote pro Jahr stellen keine gute oder gar sehr gute Bilanz dar. Es sind 5.000 Tote zuviel.“ Jedes achte Unfallopfer in Europa sterbe immer noch in Deutschland. Deshalb müsse „mit der Verkehrssicherheit endlich Ernst gemacht werden“, erklärte Mönnighoff, der als Lehrstuhlinhaber an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster Polizeiliche Verkehrslehre unterrichtet. Die Verkehrssicherheit könne deutlich verbessert werden, wenn ein generelles Tempolimit auf Autobahnen eingeführt würde. Jährlich verunglücken mehr als 600 Menschen tödlich auf deutschen Autobahnen (2006: 645) und über 30.000 (2006: 32.082) werden verletzt. Unfallursache Nummer eins sei überhöhte oder unangepasste Geschwindigkeit. 25 Menschen starben so beispielsweise im letzten Jahr an Baustellenabschnitten von Autobahnen.

Mönnighoff beklagte, dass sich in Deutschland seit mehr als zehn Jahren keine wissenschaftlichen Studien mehr mit der Frage beschäftigten, wie sich ein generelles Tempolimit auswirken würde. Deshalb müssten entsprechende ausländische Untersuchungen herangezogen werden. Daraus ergebe sich beispielsweise, dass eine Senkung der Durchschnittsgeschwindigkeit um ein Prozent zwei Prozent weniger Unfälle, drei Prozent weniger Verletzte und vier Prozent weniger Tote zur Folge habe. Nach Berechnungen des Europäischen Verkehrssicherheitsrates ETSC würde eine Senkung der durchschnittlichen Fahrgeschwindigkeit auf Europas Straßen zwischen 3 und 5 km/h jährlich bis zu 11.000 Menschenleben retten. Frankreich habe gezeigt, dass mit ernsthaftem politischem Willen innerhalb von fünf Jahren die Zahl der Getöteten um 42% gesenkt werden könne. Ein Großteil an diesem beeindruckenden Fortschritt sei erkennbar auf die deutliche Reduzierung der gefahrenen Geschwindigkeiten zurückzuführen. Mön-nighoff: „Ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen würde die hohen Geschwindig-keitsdifferenzen abbauen. Die führen regelmäßig zu Aggressionsdelikten wie dichtes Auffahren, Rasen und Drängeln aber auch zu Verstößen gegen das Rechtsfahrgebot“. Mehr als die Hälfte der Autofahrer in Deutschland geben inzwischen an, häufig oder sehr häufig auf der Autobahn Aggressionen ausgesetzt zu sein. Sogar vier von fünf Deutschen sind überzeugt, dass sich das Verkehrsklima in Deutschland in den vergangenen Jahren verschlechtert habe.

„Bei Klimaschutz und Verkehrssicherheit helfen keine großen Worte, sondern nur konkrete Maßnahmen“, erklärte Michael Gehrmann, der Vorsitzende des Verkehrsclub Deutschland (VCD). Das Tempolimit sei eine davon, die sich zudem im Gegensatz zu den meisten anderen „einfach, schnell und kostengünstig umsetzen“ ließe. Es sei „jetzt höchste Zeit, dass die Bundesregierung der sich formierenden Mehrheit der Bevölkerung folgt und Schluss macht mit der Raserei.“ Ein Tempolimit von 130 km/h könne nach Schätzungen von Bundesumweltminister Gabriel 2,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. „Das ist mehr als das gesamte milliardenschwere energetische Gebäudesanierungsprogramm der Bundesregierung bisher in fast zwei Jahren gebracht hat“, ergänzte Gehrmann. Bei Tempo 120 würde sich der Treibhausgasausstoß nach Berechnungen des VCD sogar um mehr als 3 Millionen Tonnen verringern.