Meldung vom 09.06.2007 

ICE-Modellversuch?

Der von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) geäußerte Vorschlag, eine Fahrradmitnahme im ICE testweise zu starten hat in Medien, Verbänden und Politik eine breite Diskussion ausgelöst.

"Diese wird jedoch von veralteten oder nicht belegten Argumenten der Deutschen Bahn AG bestimmt", sagt der Bundesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), Karsten Hübener. Der ADFC nimmt deshalb hier zu den wichtigsten DB-Aussagen Stellung:

"Nachfrage": Im Fernverkehr der Deutschen Bahn werden jährlich nur rund 250.000 Fahrräder transportiert. Mitte der 90er Jahre waren es allerdings noch doppelt so viele. Grund: Die Bahn verringerte ihr Angebot für Radreisende in Fernverkehrszügen kontinuierlich. Die von der DB genannten 1,5 Millionen transportierten Fahrräder schließen die Mitnahme in Regionalverkehrszüge mit ein, die für Radreisende allerdings nur auf kurzen Strecken ein sinnvolles Angebot darstellen.

"Angebot": Der bislang für die Radmitnahme nicht geöffnete ICE macht heute bereits mehr als zwei Drittel der DB-Fernverkehrsleistung aus, Tendenz steigend. Das Radmitnahme-Angebot im InterCity wird dagegen weiter reduziert, radfreundliche Angebote wie der InterRegio wurden ganz vom Markt genommen. Auf vielen Strecken werden IC- und EuroCity-Verbindungen von ICEs ersetzt, wo die Fahrradmitnahme somit gestrichen oder erschwert wird. Dies geschieht auch auf internationalen Strecken, wie etwa der neuen ICE-Verbindung Frankfurt/Main - Paris.

"Komplett-Umbau der ICE-Flotte nötig": ICE-Neigezüge sind bereits werkseitig für die Radmitnahme ausgelegt. Da die Neigetechnik-Baureihen auf festen Strecken unterwegs sind, lässt sich mit diesem Typ vorerst ein Mitnahme-Angebot verwirklichen, ohne dass die gesamte ICE-Flotte umgebaut werden müsste. Allerdings wäre bei der ohnehin künftig anstehenden Innen-Redesigns des ICE 2 die Einrichtung eines radfreundlichen Mehrzweckabteils eine Maßnahme geringen Umfangs.

"Verdrängung von Sitzplätzen": Bei Ausstattung eines Mehrzweckabteils mit Klappsitzen in Längsrichtung (wie beim eingestellten InterRegio oder beim französischen TGV) bleibt die Anzahl der Sitzplätze konstant. Zudem beträgt die Auslastung von ICE-Zügen im Schnitt 45 Prozent. In den meisten ICEs bleiben also viele Sitze unbesetzt.

"Unwirtschaftlichkeit": Das Zulassen der Radmitnahme im ICE erschließt mit den Radreisenden neue Kundenpotenziale, verbessert die Auslastung der Züge und führt so zu Mehreinnahmen.

"Verspätungen": Gegenüber anderen Faktoren wie "Signalstörung", "Warten auf Anschlussreisende" oder "aus betrieblichen Gründen" tritt eine Verspätung durch Fahrradverladung im alltäglichen Bahnbetrieb so gut wie nicht in Erscheinung. Durch modernes Wagenmaterial und breite Türen (beides beim ICE vorhanden) sowie Information am Bahnhof (Anzeige der Position von Radabteilen) werden die ohnehin kurzen Ein- und Aussteigezeiten für Radfahrer nochmals minimiert.

"Modellversuch": Die letzte modellhafte Fahrradmitnahme im ICE auf der Strecke Stuttgart-Zürich wurde 2002 nach kurzer Laufzeit wieder eingestellt. Die DB hat die Ergebnisse dieses Testlaufs nie veröffentlicht. Ob ICEs mit Radmitnahme also wirklich "anfällig für Verspätungen" oder "unwirtschaftlich" sind, ist nicht belegt. Der ADFC bittet daher Bundesverkehrsminister Tiefensee, bei dem von ihm geforderten Modellprojekt eine unabhängige Institution mit der Evaluierung zu beauftragen.

"Alternativen": Fahrradversand als Kuriergepäck mit der DB/Hermes ist teuer (24 Euro pro Rad und Richtung), umständlich (Verpackung nötig) und mit vielen Auflagen behaftet. Räder über 1.000 Euro Wert etwa sind beim Transport nicht versichert. Auch deshalb wird dieses Angebot mit rund 11.000 Transporten pro Jahr im Vergleich nicht sonderlich stark nachgefragt. Fahrradverleih (z.B. auch die Call-a-Bikes der DB) ist zwar sinnvoll im Stadtverkehr, aber keine Alternative für Radreisende. Denn diese wollen individuell auf ihre Körpergröße eingestellte Fahrräder - und möchten auch auf flexible Routenplanung am Zielort nicht verzichten.