Für den damals 32jährigen Künstler, der seit Mitte der 1960er Jahre mit Galerieausstellungen und Aktivitäten an der Seite von Gerhard Richter und Konrad Lueg auf sich aufmerksam gemacht hatte, wurde es der "Durchbruch".
Die 24 Haupt- und 14 Kommentarbilder von "Original + Fälschung" ebneten ihm den Weg zu Einzelausstellungen an etablierten Institutionen der deutschen und der internationalen Kunstszene. Seit den 1970er Jahren ist der Zyklus jedoch nur selten gezeigt worden. Die Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen bietet nun die Möglichkeit zur Erst- oder Wiederbegegnung mit einem Meilenstein der neueren Kunstgeschichte.
Den Ausgangspunkt für Polkes frühes Meisterwerk bildet eine skurrile Sammlung zeichnerischer und fotografischer Vorlagen, die zumeist aus Zeitschriften entnommen sind. Neben Werbeanzeigen, Witzbildchen und Filmstandbildern findet sich dabei auch eine Interpol-Liste der meist gesuchten gestohlenen Gemälde alter Meister. Aus diesen Inspirationsquellen entnehmen Polke und sein Mitarbeiter Achim Duchow die Zitate ihres ebenso vielfältigen wie virtuosen Bilderkosmos. Zu den Variationen über Werke von Rembrandt, Rubens oder Toulouse-Lautrec gesellen sich Affen auf Motorrädern, bunt karierte Tanzkapellen, Tapeten im Flower-Power-Dekor und blumenberankte Tischdecken.
Sigmar Polkes Werkzyklus "Original + Fälschung" steht mitten in der explosiven Kunstentwicklung der 1960er und 1970er Jahre. Er verbindet den Zitatcharakter und die schillernde Bilderwelt der Pop Art mit der traditionellen Kunstgeschichte. Er jongliert mit alten Mythen der Malerei wie auch mit den neuen Motiven einer jugendbewegten, im Umbruch befindlichen Zeit. Er wirbelt künstlerische Techniken und Bildelemente durcheinander und animiert die Betrachtenden dazu, sich selbst als Teil dieses Panoptikums zu sehen. Die Frage nach "Original + Fälschung" wird im Rausch der Bildbausteine zugleich gestellt und auf den Kopf gestellt.
Foto: Copyright Stuttgart-Marketing GmbH